Dienstag, 29. September 2020

Wörtermosaik (2) ...

 Und hier der zweite Teil der Geschichte von Danika Sander, Kl.9: 

Ich malte mit Wörtern. Charakteren eine Geschichte und einen Namen zu verleihen, eine fiktive Figur zu erschaffen, das bedeutete Schreiben für mich. Ich erstellte keinen realen Menschen, nichts Physisches, was andere sehen konnten. Etwas, was trotz allem greifbar war und Raum für Fantasie ließ. 

In meinen Gedanken ergaben die Wörter kein Bild, kein Foto auf einem Ausweis. Ein alter Freund sagte mir einmal, dass man bei Farbfotos das Aussehen, die Ausstrahlung der Menschen auffing. Bei Fotos in Schwarz-Weiß fotografierte man ihre Seele. Ihre tiefsten Träume und Wünsche, Ängste und Sehnsüchte. 

Für mich war eine Seele ein riesiges Mosaik, ein Puzzle oder ein Palast. Die Wörter, die wir sprachen, verschwiegen, vor Freude in die Welt schrien oder unter Tränen flüsterten, erbauten Säulen, ein Gerüst und eine Fassade, eine versteckte Welt, hinter dem Körper. 

Nicht die Gestalt, wie groß, klein, dick oder dünn, ob Mann, Frau oder Divers, oder wie man sich in der Öffentlichkeit gab, machte etwas aus. Denn letzten Endes waren wir nur ein kleines Sandkorn, das versuchte, gegen den Sturm anzukämpfen und nicht fortgeweht zu werden. 

Ich stand auf. Den Blindenstock in der linken Hand, drehte ich mich zu Vater. 

»Was ich kann oder nicht, spielt keine Rolle. Einzig wichtig ist das Gefühl, die Harmonie der Worte. So viele gehen blind durch die Welt, ohne es zu merken. Die reden auch über ihre angeblichen Erfolge, obwohl sie keinen Dunst haben, was draußen geschieht. Sie versuchen, anderen das Leben zu erklären und beschreiben Dinge, die sie nicht einmal richtig wahrnehmen. Also werde ich es wohl schaffen, in anderen wahre Gefühle heraufzubeschwören. Auf Wiedersehen.« 

Ich legte zwei Zweieuromünzen auf den Tisch und verließ das Café.

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