Sonntag, 17. November 2024

Stolpersteine in Köthen...

 „Das kann uns nicht unberührt lassen.“

Schülerinnen und Schüler des Geschichtskurses B der 12. Klassen setzen ein klares Zeichen gegen das Vergessen und gedenken der Opfer des Nationalsozialismus.

 „Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt, aber wir werden versuchen, sie mit so viel Courage und Eleganz zu leben, wie wir es auch in glücklichen Zeiten getan haben.“ Dies war die letzte Nachricht des Alfred Tokayer, Pianist, Kammermusiker, Dirigent, Komponist, Sohn von Moritz und Gertrud Tokayer, einer alt-ansässigen jüdischen Familie, Köthener Bürger und Geschäftsleute. Familie Tokayer war Mitglied der jüdischen Gemeinde in Köthen. Die 1890 erbaute und 1891 eingeweihte Synagoge hinter der Burgstraße 15/16 wurde in der Nacht vom 15. Auf den 16. November 1938 von Mitgliedern des NS-Regimes geschändet und zerstört.

Drei Stolpersteine erinnern, unter anderem am Holzmarkt, an das Schicksal der Familie Tokayer. Das Projekt Stolpersteine wurde vom Künstler Gunter Demning Anfang der 90er Jahre ins Leben gerufen. Dabei sollen kleine, aus Messing gefertigte Gedenktafeln, die in den Boden eingelassen werden, an das Schicksal von Menschen erinnern, die zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben und vernichtet worden sind. Die Gedenktafeln, die sogenannten Stolpersteine, werden vor dem letzten selbstgewählten Wohnort der Menschen verlegt. Finanziert werden die Herstellung und Verlegung durch Patenschaften und Spenden. Am Donnerstag, den 07.11.2024, machten es sich Schülerinnen und Schüler der 12. Klassen gemeinsam mit ihrem Geschichtslehrer Herrn Meyer zur Aufgabe, jene Stolpersteine, von denen mittlerweile 39 in Köthen verlegt worden sind, zu reinigen und fotografisch zu dokumentieren. Hiermit setzten die Jugendlichen ein tief bewegendes Zeichen des Gedenkens und der Verantwortung. Die Stolpersteine tragen die Namen von Menschen, die einst mitten im Köthener Stadtgebiet lebten und plötzlich brutal aus dem Leben gerissen wurden. Mit Schwämmen, Poliertüchern und Reinigungsmitteln ausgestattet, machten sich die Schüler in kleinen Gruppen daran, die Messingplatten von Schmutz und Staub zu befreien. Die Namen, die unter ihren Händen wieder glänzend zum Vorschein kamen, schienen leise von Geschichten zu sprechen, von Leben, die auf tragische Weise endeten. Es waren bewegende Augenblicke, in denen alle Jugendlichen spürten, wie nah die Vergangenheit in diesem Moment kam. Die Reinigung der Stolpersteine war weit mehr als eine symbolische Tat. Sie war eine Geste der Demut, des Gedenkens und der Hoffnung- eine Hoffnung, dass das Bewusstsein für die Vergangenheit hilft, wachsam zu bleiben für die Gegenwart. Mit Hilfe einer selbst erstellten Karte, über Lage und Anordnung der Stolpersteine im Köthener Stadtgebiet, konnten alle verlegten Gedenktafeln aufgesucht werden. Kein zufälliges Datum, erinnert werden sollte an die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, als das NS-Regime im Zuge der Novemberprogrome gegen jüdische Geschäftsleute vorging. Die Stolpersteine sind eine Möglichkeit, die bedrückenden und schmerzerfüllten Lebenswege dieser Menschen dem Vergessen zu entreißen. So gedenken sie beispielsweise den Schwestern Gusti und Vera Meyer, ihren Eltern Max und Doris, den Eheleuten Recha und Adolf Abosch, dem Ehepaar Anselm und Hildegard Heilbrunn. Namen, hinter denen sich sterbenstraurige Schicksale verbergen. Finsternis und Dunkelheit, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, Seelenschmerz und lichtloses Tränenmeer. Jene Menschen, Bürger Köthens, wurden deportiert und ermordet in den Vernichtungslagern Treblinka, Sobibor, Auschwitz, Theresienstadt oder in das Warschauer Ghetto verschleppt. Unter ihnen auch zahlreiche Einwohner Köthens. So waren bei einem Transport vom 14.04.1942 unter den insgesamt 446 Menschen aus dem Regierungsbezirk Magdeburg und dem Land Anhalt auch 23 Köthener Bürger. Im Jahr 1942 wurden auch die Schwestern Gusti und Vera Meyer sowie die Familie Fleischmann, Salomon, Bertha und Rosa in das Warschauer Ghetto deportiert. Von den 39 ehemaligen Köthener Juden, denen die Stolpersteine gewidmet sind, waren 1942 dreizehn Menschen in das Ghetto nach Warschau verschleppt worden. In der polnischen Hauptstadt Warschau errichteten die deutschen Besatzungsbehörden im Herbst 1940 das größte Ghetto im nationalsozialistisch besetzten Europa. Auf engstem Raum zusammengepfercht lebten über 410.000 Juden im Ghetto, das durch eine 3 Meter hohe Mauer vom Rest der Stadt abgeriegelt war. Im Rahmen der „Aktion Reinhardt“, der planmäßigen Ermordung der Juden im Generalgouvernement, begann am 22.7.1942 die Auflösung des Ghettos. Bis zum 12.09.1942 deportierte die SS mit Hilfe der deutschen Polizei und der jüdischen Ghettopolizei täglich bis zu 10.000 Juden in das nordöstlich von Warschau gelegene Vernichtungslager Treblinka. Nach der „großen Aktion“ lebten noch etwa 60.000 Menschen im Ghetto. Einige hundert schlossen sich zur „Jüdischen Kampforganisation“ zusammen. Als am 19.04.1943 über 2000 SS-, Polizei- und Wehrmachtsangehörige das Ghetto gewaltsam räumen wollten, kam es zum bewaffneten Aufstand. Mitte Mai 1943 wurde der Aufstand niedergeschlagen und auf dem völlig zerstörten Ghettogelände wurde im August 1943 auf Anordnung Himmlers ein Konzentrationslager errichtet.

Nur einmal hat Alfred Tokayer der Mut verlassen, in einem Brief schrieb er “[...]das nicht einmal ein römischer Schriftsteller ein grausameres Schicksal erfinden konnte […]“. Alfred Tokayer wurde in einem Viehwagen in das Vernichtungslager Sobibor deportiert, in dem er im letzten Moment seine Eltern, Moritz und Gertrud, traf. Hier wurde das Leben der Familie Tokayer auf schreckliche Art und Weise ausgelöscht.

Geht achtsam über die Stolpersteine, denn sie sind Zeugnisse vergangener Zeit und tränenreicher Schicksale. Jede feine Berührung lässt die kleinen Messingtafeln glänzen und so leuchten die Erinnerungen an jene Menschen wie Sternenfünkchen in unseren Herzen. Dieser Tag in Köthen wird vielen in Erinnerung bleiben. Die polierten Stolpersteine schienen ein stummes Versprechen zu geben- ein Versprechen, dass die Erinnerung an die Opfer des Holocaust und die Lehren aus der dunkelsten Zeit unserer Geschichte weiterhin lebendig bleiben werden.

 Anni O. und Sarah K., Klasse 12









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