„Das kann uns nicht unberührt lassen.“
Schülerinnen
und Schüler des Geschichtskurses B der 12. Klassen setzen ein klares Zeichen
gegen das Vergessen und gedenken der Opfer des Nationalsozialismus.
Drei
Stolpersteine erinnern, unter anderem am Holzmarkt, an das Schicksal der
Familie Tokayer. Das Projekt Stolpersteine wurde vom Künstler Gunter Demning Anfang
der 90er Jahre ins Leben gerufen. Dabei sollen kleine, aus Messing gefertigte
Gedenktafeln, die in den Boden eingelassen werden, an das Schicksal von
Menschen erinnern, die zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben
und vernichtet worden sind. Die Gedenktafeln, die sogenannten Stolpersteine,
werden vor dem letzten selbstgewählten Wohnort der Menschen verlegt. Finanziert
werden die Herstellung und Verlegung durch Patenschaften und Spenden. Am
Donnerstag, den 07.11.2024, machten es sich Schülerinnen und Schüler der 12. Klassen
gemeinsam mit ihrem Geschichtslehrer Herrn Meyer zur Aufgabe, jene
Stolpersteine, von denen mittlerweile 39 in Köthen verlegt worden sind, zu reinigen
und fotografisch zu dokumentieren. Hiermit setzten die Jugendlichen ein tief
bewegendes Zeichen des Gedenkens und der Verantwortung. Die Stolpersteine
tragen die Namen von Menschen, die einst mitten im Köthener Stadtgebiet lebten
und plötzlich brutal aus dem Leben gerissen wurden. Mit Schwämmen,
Poliertüchern und Reinigungsmitteln ausgestattet, machten sich die Schüler in
kleinen Gruppen daran, die Messingplatten von Schmutz und Staub zu befreien.
Die Namen, die unter ihren Händen wieder glänzend zum Vorschein kamen, schienen
leise von Geschichten zu sprechen, von Leben, die auf tragische Weise endeten.
Es waren bewegende Augenblicke, in denen alle Jugendlichen spürten, wie nah die
Vergangenheit in diesem Moment kam. Die Reinigung der Stolpersteine war weit
mehr als eine symbolische Tat. Sie war eine Geste der Demut, des Gedenkens und
der Hoffnung- eine Hoffnung, dass das Bewusstsein für die Vergangenheit hilft,
wachsam zu bleiben für die Gegenwart. Mit Hilfe einer selbst erstellten Karte,
über Lage und Anordnung der Stolpersteine im Köthener Stadtgebiet, konnten alle
verlegten Gedenktafeln aufgesucht werden. Kein zufälliges Datum, erinnert
werden sollte an die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, als das NS-Regime
im Zuge der Novemberprogrome gegen jüdische Geschäftsleute vorging. Die
Stolpersteine sind eine Möglichkeit, die bedrückenden und schmerzerfüllten Lebenswege
dieser Menschen dem Vergessen zu entreißen. So gedenken sie beispielsweise den
Schwestern Gusti und Vera Meyer, ihren Eltern Max und Doris, den Eheleuten
Recha und Adolf Abosch, dem Ehepaar Anselm und Hildegard Heilbrunn. Namen,
hinter denen sich sterbenstraurige Schicksale verbergen. Finsternis und
Dunkelheit, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, Seelenschmerz und lichtloses
Tränenmeer. Jene Menschen, Bürger Köthens, wurden deportiert und ermordet in
den Vernichtungslagern Treblinka, Sobibor, Auschwitz, Theresienstadt oder in
das Warschauer Ghetto verschleppt. Unter ihnen auch zahlreiche Einwohner
Köthens. So waren bei einem Transport vom 14.04.1942 unter den insgesamt 446
Menschen aus dem Regierungsbezirk Magdeburg und dem Land Anhalt auch 23
Köthener Bürger. Im Jahr 1942 wurden auch die Schwestern Gusti und Vera Meyer
sowie die Familie Fleischmann, Salomon, Bertha und Rosa in das Warschauer
Ghetto deportiert. Von den 39 ehemaligen Köthener Juden, denen die
Stolpersteine gewidmet sind, waren 1942 dreizehn Menschen in das Ghetto nach
Warschau verschleppt worden. In der polnischen Hauptstadt Warschau errichteten
die deutschen Besatzungsbehörden im Herbst 1940 das größte Ghetto im
nationalsozialistisch besetzten Europa. Auf engstem Raum zusammengepfercht
lebten über 410.000 Juden im Ghetto, das durch eine 3 Meter hohe Mauer vom Rest
der Stadt abgeriegelt war. Im Rahmen der „Aktion Reinhardt“, der planmäßigen
Ermordung der Juden im Generalgouvernement, begann am 22.7.1942 die Auflösung
des Ghettos. Bis zum 12.09.1942 deportierte die SS mit Hilfe der deutschen
Polizei und der jüdischen Ghettopolizei täglich bis zu 10.000 Juden in das
nordöstlich von Warschau gelegene Vernichtungslager Treblinka. Nach der „großen
Aktion“ lebten noch etwa 60.000 Menschen im Ghetto. Einige hundert schlossen
sich zur „Jüdischen Kampforganisation“ zusammen. Als am 19.04.1943 über 2000
SS-, Polizei- und Wehrmachtsangehörige das Ghetto gewaltsam räumen wollten, kam
es zum bewaffneten Aufstand. Mitte Mai 1943 wurde der Aufstand niedergeschlagen
und auf dem völlig zerstörten Ghettogelände wurde im August 1943 auf Anordnung Himmlers
ein Konzentrationslager errichtet.
Nur einmal
hat Alfred Tokayer der Mut verlassen, in einem Brief schrieb er “[...]das nicht
einmal ein römischer Schriftsteller ein grausameres Schicksal erfinden konnte […]“.
Alfred Tokayer wurde in einem Viehwagen in das Vernichtungslager Sobibor
deportiert, in dem er im letzten Moment seine Eltern, Moritz und Gertrud, traf.
Hier wurde das Leben der Familie Tokayer auf schreckliche Art und Weise
ausgelöscht.
Geht
achtsam über die Stolpersteine, denn sie sind Zeugnisse vergangener Zeit und
tränenreicher Schicksale. Jede feine Berührung lässt die kleinen Messingtafeln
glänzen und so leuchten die Erinnerungen an jene Menschen wie Sternenfünkchen
in unseren Herzen. Dieser Tag in Köthen wird vielen in Erinnerung bleiben. Die
polierten Stolpersteine schienen ein stummes Versprechen zu geben- ein
Versprechen, dass die Erinnerung an die Opfer des Holocaust und die Lehren aus
der dunkelsten Zeit unserer Geschichte weiterhin lebendig bleiben werden.